Brüssel, 07.09.2019 Anlässlich meines aktuellen Interviews im Tagesspiegel möchte ich anmerken, dass der Titel „Nächstenliebe ist grundsätzlich auf Deutschland beschränkt“ im Gesamtkontext des Interviews gesehen werden muss, denn Nächstenliebe ist keine Fernstenliebe.

So handelt beispielsweise das Gleichnis des barmherzigen Samariters von einem Mann, der von Jerusalem nach Jericho ging, einem Priester, einem Levit und einem Samariter – alle kamen aus dem Umfeld des damaligen Israel. Es geht also auch in dieser Erzählung Jesu um den, der mir näher ist. Für mich geht es beispielsweise in der Funktion als EU-Parlamentarier in erster Linie um die Menschen in der Europäischen Union. In meiner Funktion als Gemeinderat widme ich meine Arbeit primär den Menschen meiner Heimatstadt.

Bei der Frage „Jesus war selbst Flüchtling. Wie passen für Sie die christliche Botschaft und die Flüchtlingspolitik der AfD zusammen?“ will ich noch hinzufügen, dass wir als Christen Verantwortung und Verpflichtung haben, uns um Hilfsbedürftige zu kümmern, sie aufzunehmen und zu versorgen. Soweit sie Gott – wie eben beispielsweise im Gleichnis vom barmherzigen Samariter – vor unsere Füße legt. Und zwar so lange, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen können. Der Grat zwischen Barmherzigkeit und „sich ausnutzen lassen“ ist nach meiner Erfahrung oft schmal. Was viele christliche Würdenträger oft verschweigen: Maria, Josef und Jesus kehrten nach dem Kindermord zu Betlehem und dem Tod des Herodes, der den Kindermord anordnete und somit die Fluchtursache war, von Ägypten nach Israel zurück. Diese biblische Rückkehrperspektive vermisse ich in den aktuellen Debatten.

In einem aktuellen NZZ-Interview meint der renommierte Philosoph, Theologe, Richter und Professor Richard Schröder: „Die Kirche kann barmherzig sein, der Staat darf das nicht“ und weiter: „Die Barmherzigkeit nimmt einseitig für Menschen in Not Stellung, das stimmt. Aber es gibt auch die Gerechtigkeit, und die kann nicht einfach dem Herzen folgen, sondern muss nach Regeln fragen. Die Kirche kann barmherzig sein, der Staat darf das nicht. Er muss nach dem Massstab der Gerechtigkeit handeln, auch wenn die Ergebnisse die Barmherzigen verstören. Ein Beispiel: Jeder, der aus Seenot gerettet wird, ist traumatisiert. Und weil uns sein Schicksal berührt, möchten wir sagen: Du darfst bleiben. Das geht aber nicht, weil die Regel nicht lauten kann: Wer in Seenot gerät, darf nach Europa, auch wenn er sonst keine Berechtigung hat. Die Regel lautet: Bleiben darf, wer anerkannte Fluchtgründe vorweisen kann. Wenn das nicht der Fall ist, kann deine Flucht noch so traumatisch gewesen sein, du musst zurück.“

Verlinkungen:
https://www.tagesspiegel.de/politik/afd-politiker-kuhs-zur-fluechtlingspolitik-naechstenliebe-ist-grundsaetzlich-begrenzt-auf-deutschland/24989528.html
https://www.nzz.ch/international/ungerechte-seenotretter-theologe-richard-schroeder-im-interview-ld.1504989

Foto: picture alliance/Johannes Filous/dpa (Mitglieder der Organisation „Mission Lifeline“ und Migranten)